Schatz, der Christbaum ist schief!
Eine der großen Weisheiten zum Thema Kommunikation ist, dass selbige mehr Probleme schafft, als sie löst. Und tatsächlich, es gibt selbst bei einfachsten Sätzen – ich möchte jetzt gar nicht hochtrabend von Botschaften schreiben – eine Vielzahl an Möglichkeiten, diese in die falsche Kehle zu bekommen. Gerade zu Weihnachten, wo in unserer materialistischen Gesellschaft mit ihrem Weihnachtsfeiern- und Geschenkewahn (Gastronomie und Handel mögen mir diese Aussage nicht allzu übel nehmen) anstatt Besinnung und Ruhe eher Hektik und Stress dominieren, spritzen die Funken gerne auch schon mal innerhalb der lieben Familie, nicht nur aus den Wunderkerzen. Die Nerven liegen ohnehin blank nach Hast und Geschäftigkeit der letzten Adventtage, und oft reicht schon die kleinste Initialzündung, und das Fest der Liebe wird zum Festival der (akustischen) Hiebe.
Der früheste Beleg für den Ausdruck »Weihnachten« übrigens stammt aus der Predigtsammlung Speculum ecclesiae um 1170.
Die Gnade (Gottes) kam zu uns in dieser Nacht: Deshalb heißt diese nunmehr Weihnacht.
Doch zurück zum eigentlichen Blog-Thema: Friedmann Schulz von Thun, einer der führenden Kommunikationswissenschaftler der Gegenwart, erklärt uns in seinem nach ihm benannten Kommunikationsquadrat, dass jede sprachliche Interaktion immer gleichzeitig aus vier Ebenen besteht:
- Die Sachinformation – »Worüber ich informiere«
- Die Selbstoffenbarung – »Was ich von mir zu erkennen gebe«
- Der Beziehungshinweis – »Was halte ich von dir, wie stehen wir zu einander«
- Der Appell – »Was ich bei dir erreichen möchte«
Jede gesprochene Nachricht enthält nun, mehr oder weniger leicht erkennbar, diese vier Botschaften bzw. Ebenen. Schulz von Thun spricht daher auch vom vier-schnäbligen Sender (= der, der spricht). Im Gegenzug spiegeln sich aber auch beim Empfänger (= der, der zuhört) diese vier Ebenen wider: vier-ohriger Empfänger genannt.
Die Kunst guter Kommunikation besteht nun darin, dass Sender und Empfänger auf derselben Ebene auf Sendung/Empfang sind. Nehmen wir doch zur praktischen Erklärung die Headline dieses Posts als weihnachtliches Beispiel her:
Die Frau des Hauses, nahezu fertig mit dem dekorativen Aufputzen der etwas zu groß geratenen Nordmanntanne, ruft aus dem Wohnzimmer in Richtung Hobbyraum des Gattens, wo selbiger gerade mit einer ur-heiklen Lötarbeit an der Platine seiner ferngesteuerten HD-Kamera-Drohne – weit außerhalb seiner fachlichen wie handwerklichen Komfortzone – beschäftigt ist. Der Aufruf geschieht bereits zum dritten Male, ist akustisch schon um eine Spur lauter als Call 1 und 2, aber korrekt vorgetragen.
Schaahaatz, der Christbaum ist schief!
Aus dem Mund der Senderin kamen folgende Botschaften:
Sachinformation: »Der geschmückte Weihnachtsbaum steht nicht genau senkrecht, sondern neigt sich zur Seite«
Selbstoffenbarung: »Jetzt gebe ich mir stundenlang Mühe, und dann das!!!«
Beziehungshinweis: »Ach hätte ich doch nur gleich meinen Vater gebeten, mir die Tanne in den Ständer zu montieren, anstatt dich mit deinen zwei Linken!«
Appell: »Komm‘ bitte jetzt endlich aus dem Keller rauf und fixiere den Baum ordentlich, bevor er mir umfällt«
An das Ohr des Empfängers drangen möglicherweise folgende Botschaften:
Sachinformation: »Der geschmückte Weihnachtsbaum steht nicht genau senkrecht, sondern neigt sich zur Seite, vermutlich gehören die Schrauben nachgezogen wegen der Trocknung des Baumstammes«
Selbstoffenbarung: »Ohne mich wäre die gute Frau völlig aufgeschmissen, nicht einmal die Schrauben am Ständer kann sie selber nachziehen«
Beziehungshinweis: »Jedes Jahr dasselbe Theater: So gut wie der Herr Schwiegerpapa werde ich den Baum wohl nie einpassen können!«
Appell: »Jetzt sollte ich das Löten wohl unterbrechen und schnell die blöden Schrauben nachziehen, sonst wird nie eine Ruh’«
Bei der nun erwarteten Antwort des im Keller bastelnden Gatten gibt es wiederum drei Möglichkeiten, drei ICHs genannt. So kann er nun antworten mit dem
Eltern-Ich: »Mach‘ dir keine Sorgen, meine Kleine, der fällt in dem massiven Eisenkreuz schon nicht um. Ich helfe dir gleich, wenn ich fertig gelötet habe.«
Kind-Ich: »In Pisa ist ein ganzer Turm schief, und die jammern auch nicht dauernd!«
Erwachsenen-Ich: »Ich bin in 30 Sekunden bei dir, halte ihn solange, damit er nicht umfällt!«
Der zweite große Kommunikationsmeister der vergangenen Jahrzehnte, der Psychologe Prof. Paul Watzlawick (1921 – 2007), gibt uns in seinem 1. Axiom noch folgenden Rat mit:
Man kann nicht nicht kommunizieren!
Wenn Sie, verehrter Leser, also nun der Gatte im Hobbyraum sind, so beachten Sie bitte: Auch wenn Sie auf das wiederholte Hilfeansuchen Ihrer lieben Ehefrau gar nicht reagieren, so kommunizieren Sie dennoch. Und wie! Nämlich auf ganz besonders ablehnende, zurückweisende Art.
Zielcoaching-Aufgabe für Weihnachten: Achten Sie auf die richtige Ebene, reagieren Sie nicht mit der Beziehungsebene/-kiste, wenn bloß sachlich betrachtet, der Christbaum kurz vom Umfallen ist. Frohes Fest!